Komfortable Bergwanderungen in Nepal ohne Schlafsack - Ökologisch korrekte Gasthäuser ermöglichen komfortable Übernachtungen in bis zu 3.700 Metern mitten im Himalaja und man ist den Göttern so nah - Reportage ueber eine Pressereise mit dem DAV Summit Club, der Bergsteigerschule des Deutschen Alpenvereins in den Mount Everest Nationalpark
Link zur Pressereise im Summit Magazin - "Khumbu mit Komfort und Kamera - Journalisten testen die Everest-Summit-Lodges"
http://www.dav-summit-club.de/magazin/berge_der_welt/301203_ct_pressekhumbu.php
Oder: Ellens Angst
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Von Rolf Schmelzer, Mount Everest Nationalpark, Nepal
Wir sind seit drei oder vier Stunden gut gelaunt unterwegs zum Mount Everest. Ohne diese lästigen Sauerstoffflaschen, ohne sperriges Zelt und ohne klapperndes Kletterzeug und - unglaublich - sogar ohne Schlafsack. Mit der Zeit nimmt es bekanntermaßen ja keiner so genau in Nepal. Das haben wir schon am Flughafen von Kathmandu gemerkt. Unser Flieger nach Lukla hat mehr als eine Stunde Verspätung. Wegen irgendwelcher Fallwinde, hören wir um drei Ecken im Warteraum. Aber das sei in dieser Gegend rund um den Mount Everest nachmittags so üblich. Manchmal könne es auch Tage dauern, bis man in Lukla starten oder landen könne. Gute Laune verbreitet dennoch Kasi, unser Sherpa, für die vor uns liegenden zwei Wochen im Mount Everest Nationalpark. Und das bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Kasi ist 31 Jahre alt, junger Vater und im Khumbu, dem „Sherpaland“, geboren.
Es ist ein ruhiger, kristallklarer und sonniger Novembermorgen am eher beschaulichen Flughafen von Kathmandu mit den scharfen Konturen der strahlend weißen Sechs-, Sieben- und Achttausender direkt vor uns mit gefühlten wie wirklichen 30 Grad Celsius auf etwa 1.300 Metern über dem Meer. Es ist unser erstes Mal.
“Was?“ - „Wohin?“ - „Mount Everest?“ - „Bist du wahnsinnig?“ - „Das ist doch die Todeszone...!“ So oder so ähnlich müssen die liebenden Worte meiner Freundin Ellen bei unserem letzten gemeinsamen Frühstück in Köln am Rheinufer geklungen haben. Ich erinnere mich gut. Es war ein trüber, verregneter Montagmorgen Anfang November, also gerade einmal vor zwei Tagen. Zehn Grad Celsius. Nieselregen. Gefühlt wie wirklich. Keine Sicht auf Nichts. Nicht einmal auf den Rhein.
Die allerletzte SMS meiner Liebsten lese ich an diesem sonnigen Novembermorgen in Kathmandu am Tribhuvan International Airport. In unüberhörbaren Großbuchstaben schreibt mir meine Ellen: „KOMM SOFORT ZURÜCK! - BITTE!! - ICH LIEBE DICH!!!“
So viele Ausrufungszeichen hat sie mir ja noch nie in einer einzigen SMS geschrieben. Ich besteige mit zwölf äußerlich unerschrocken wirkenden Abenteurerinnen und Abenteurern die winzige zweimotorige Twin Otter. - „Made in Switzerland“ steht beruhigend und in unübersehbar großen Lettern vorne drauf. Dieses mechanische Ding sollte also doch etwa so zuverlässig funktionieren wie ein Schweizer Uhrwerk.
Ich bin irritiert über Ellens Angst um mich und schalte zu meiner und der anderen Fluggäste Sicherheit das Handy vorsichtshalber aus.
So sind die Vorschriften im internationalen Flugverkehr. Daran muss auch ich mich halten. Liebe hin oder her.
Es ist wunderschön. Unter uns liegen kleine Siedlungen von jeweils zehn oder zwanzig Ziegelhäusern auf den 3.000 Meter hohen Huegeln unter uns. In die steilen Berghänge des Vorgebirges sind kunstvoll unzählige Terrassen mit maisgelb und Reisgrün schimmernden Feldern angelegt. Hier wachsen und gedeihen Mangos, Bananen, Orangen, Zitronen, Aepfel, Möhren, Mais, Reis, Weizen, Hirse, Gurken in allen Groessen und Formen, Auberginen und vieles mehr. Das weiträumige Kathmandutal ist ein warmes, fruchtbares und immergrünes Tal.
Mit leichtem Ohrensausen, aber schwerem die Ohren betäubendem und nur durch einen Wattepfropfen etwas gedämpften Fluglärm unserer Twin Otter befinden wir uns in dieser Nussschale mit Flügeln auf dem windigen Weg nach Lukla, 2.800 Meter über dem Meer am verheißungsvollen und lange ersehnten Tor zum Mount Everest, dem höchsten Berg der Welt.
Immerhin hat dieses Ding zwei Motoren. Wenn da mal einer ausfällt ist das ja noch kein Unglück.
Ein Stubenhocker war ich ja sowieso noch nie. Das sollte meine Ellen nach unseren sieben glücklichen Jahren eigentlich wissen.
Was habe ich nicht schon alles über diese extrem kurze Piste gehört und gelesen. Von „Hillarys Leuten“ vor vielen Jahrzehnten mit 15 oder 20 Prozent Steigung steil in den Berg gehauen. - Wer hat das jemals nachgemessen? - Fest steht allerdings: Jeder Pilot hat hier nur einen einzigen Versuch. Ob Start oder Landung. Es muss beim ersten Mal klappen. Cool. Ein Durchstarten oder gar ein Abbruch des einmal eingeleiteten Landeanfluges ist wegen der Topographie und der Lage der ungewöhnlich steilen und mit weniger als 500 Metern zudem extrem kurzen Start- und Landepiste völlig unmöglich.
Soviel dazu.
Der immer noch sonnendurchflutete, wolkenlose Himmel Nepals mit Tibet im Norden und Indien im Süden ist jetzt im November kristallklar und kobaltblau.
Dann kommt er, der spektakuläre und vielbeschriebene Landeanflug auf Lukla.
Wir fliegen in ein sehr enges Tal, nur wenige hundert Meter breit. An drei Seiten, links, rechts und direkt vor uns befinden sich gigantische Felsformationen. Weit unten presst ein schmaler, milchiger Fluss, der von hier oben wie ein Rinnsal wirkt, sein Wasser durch düstere, unwegsame Schluchten. Die kleine Twin Otter fliegt plötzlich ein steile Rechtskurve. Dann taucht sie wie ein Adler, die Beute fest im Blick im Sturzflug steil nach unten auf diesen kurzen, schmalen Streifen zu. Eine letzte Kurve, eine allerletzte Kurskorrektur und ich krame mit zitternden Händen mein Handy hervor um doch noch eine allerletzte SMS an meine Ellen in Köln zu schicken, in der stehen sollte: „ICH LIEBE DICH AUCH! - KÜMMER DICH UM DIE KINDER!! - VERZEIH MIR BITTE!!! - DEIN ROLF“
Für einen kurzen Moment bin ich erleichtert und fühle mich schwerelos wie ein Adler. Ich sehe dem, was da in den vor uns liegenden Sekunden des Landeanflugs auf diese Winzigkeit von Lukla, dem letzten Flughafen vor der Todeszone, auf uns zu kommt, gelassen entgegen. Ich bin gefasst, eins mit mir und sehe tief hinunter.
Ins Nichts.
Durch die bullaugenähnlichen Fenster unserer Twin Otter (ich erinnere mich dunkel: „made in Switzerland“) sehe ich viele hundert Meter tief unter uns ein unendliches, dunkles Tal mit diesem hauchdünnen weißen Faden aus Gletscherwasser.
Ich gucke bei einer Landung ja immer gerne aus dem Fenster um zu sehen, dass auch alles so abläuft wie es bei einer noch so schwierigen Landung ablaufen muss: Nase nach unten, Flughafen oder Landepiste anpeilen, Landeklappen raus, erst ein wenig, dann etwas mehr, dann ganz. Trimmen. Allmählich Langsamer werden, aber nicht zu langsam, Nase nach oben. Nase nach unten.
Dreißig Fuß, zwanzig Fuß, zehn Fuß...,
Es können nur noch wenige Sekunden sein bis zum ultimativen „touch down“ und dem höchstwahrscheinlichen Zerschellen unserer heftig nach links und rechts, rauf und runter schlingernden Blechkiste. Es sind die unberechenbaren Fallwinde, die dem Piloten zu schaffen machen.
Da sehe ich im Display: Kein Netz!
Auch das noch.
Was gäbe ich in diesem Augenblick um ein Netz.
Ein Netz, in dem wir weich und sicher landen könnten wie in Buddhas, Allahs oder Abrahams Schoß.
Ich schließe fest und final die Augen, drücke mir selber noch einmal die Daumen, schicke ein letztes Stoßgebet - wie ich mit Entsetzen feststelle... in alphabetischer Reihenfolge zu allen, die mich kennen und die mir in diesem ultimativen Moment einfallen. Zu Allah, Benedikt, Buddha ist immer gut, dem Elefantengott Ganesh, Gott Vater, Jesus Christus, der Mutter Maria, Shiva, Vishnu & Woitila und wer mich sonst noch so alles in dieser äußerst prekären Lage Lage hören und behüten könnte.
Wenn jemand im All vernetzt und jetzt hoffentlich auf Empfang ist, dann doch DIE! Ich bete und warte. Bete und warte. Warte. Bete, was das Zeug hält. Bin bereit. Ich bin vorbereitet. Auf alles. Alles, was ist. Alles, was kommt. Oh, bitte gebt mir jetzt ein Netz...
In diesem ewigen, unendlichen und nicht enden wollenden Moment murmele ich ein letztes Mal in Richtung Pilotenkanzel vor mich hin „Zieh die Nase hoch, Mann. Nase hoch!“ -
Luft anhalten.
Nase hoch.
Landung.
Quitschende Vollbremsung.
Schubumkehr.
All das geht sehr schnell auf diesem knappen halben Kilometer Landepiste von Lukla, neuerdings Hillary-Tensing Memorial Landestreifen.
MUSS auch sehr schnell gehen.
Dann kommt eine kleine, aber dafuer sehr scharfe Rechtskurve. Wieder quietschen und qualmen die Reifen der Twin Otter, ein leichtes Schlingern folgt. Dann fuenf Meter Ausrollen und STOP.
Zwei Minuten Applaus. Aufatmen, tief einatmen, weiteratmen. Na, geht doch! - Wir sind DA. HIER & JETZT. Atemberaubend sicher und samtweich bergauf und treffsicher mitten in diesem von seiner Natur her fast alles abweisenden Himalaya gelandet.
So kommen wir mit der Nase voraus unmittelbar vor einer dreißig Meter hohen, senkrechten Felswand aus Granit zum Stehen. Wir leben. Und freuen uns wie Bolle. Was für ein Glück : )
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